Grafschafter Nachrichten, 06. April 2022 von Rolf Masselink
56 Meter Flügellänge machen Transport schwierig
Spezialfahrzeuge für den Transport von Windradkomponenten auch auf schmalen und kurvigen Straßen sind heute gängiger Stand der Technik. Besondere Anforderungen stellt vor allem der Transport der Flügel – wegen der enormen Abmessungen und wegen der Empfindlichkeit gegen Seitenwind. Deshalb verfügen diese Transporter über ein besonderes Befestigungssystem, an dem der Flügel während der Fahrt um seine Längsachse gedreht („gepitcht“) werden kann, um den Winddruck zu mindern. Außerdem kann das Rotorblatt aus der Waagerechten auf bis zu 60 Grad aufgerichtet werden, um in engen Kurven die Transportlänge zu verkürzen.
HPL-System kann auch seitlich ausschwenken
„Diese marktgängigen Transportsysteme waren unserem Kunden nicht flexibel genug“, schildert Projektleiter Daniel Moss die Herausforderung für HPL. „Er will Windräder über sehr steile, enge und kurvenreiche Gebirgsstrecken transportieren und braucht dafür ein Transportsystem, das den Flügel nicht nur aufstellen, sondern auch seitlich ausschwenken kann.“ Da es so etwas bisher am Markt nicht gibt, hat das japanische Unternehmen HPL beauftragt, ein anforderungsgerechtes System zu schaffen. In neunmonatiger Entwicklungs- und Bauzeit entstand ein Trägersystem, das nach Firmenangaben weltweit bisher einzigartig ist und gerade zum Patent angemeldet wird. HPL sieht für diese Eigenentwicklung international gute Marktchancen und arbeitet bereits an weiteren Varianten.
Kern des Systems ist die Halte- und Schwenkvorrichtung für einen etwa 56 Meter langen und knapp 16 Tonnen schweren Windradflügel. Sie kann den Flügel nicht nur „pitchen“ und aufrichten, sondern auch um bis zu 30 Grad nach rechts oder links ausschwenken. Damit das schwere Transportfahrzeug dabei nicht umkippt, verfügt die Haltevorrichtung über ein 22 Tonnen schweres Gegengewicht. Der Clou dabei: Das auf einem Schienensystem beweglich montierte Gegengewicht wird bis zu vier Meter weit ausgefahren – genau so weit, dass der Transport bei ausgeschwenktem Rotorblatt im Gleichgewicht bleibt. Das gesamte System arbeitet computergesteuert und verarbeitet Messdaten verschiedener Sensoren einschließlich eines am Rotorblatt angebrachten Windmessers.
Zugelassen für öffentliche Straßen
Als „Fahrgestell“ des Systems dienen zwei selbstfahrende Schwerlastmodule des Memminger Spezialfahrzeugbauers Goldhofer AG. „Wir legen großen Wert darauf, ein zulassungsfähiges Fahrzeug zu schaffen, das öffentliche Straßen befahren darf“, sagt Vorstandsmitglied Michael Grunwald. Jedes Modul verfügt über vier Achslinien mit jeweils acht Rädern an zwei nebeneinanderliegenden Radträgern. Jeder Radträger wird einzeln angetrieben, gelenkt, gefedert und niveaureguliert, alle Antriebs-, Lenk- und Federbewegungen erfolgen ölhydraulisch. Den Öldruck dafür liefern die Pumpen des „Powerpacks“, die von einem 530 PS starken Dieselmotor angetrieben werden.
Ein 135 Tonnen schwerer „Tausendfüßer“
Dieser hochbewegliche und sehr wendige 64-rädrige „Tausendfüßler“ ist drei Meter breit, einschließlich vorn angehängter Fahrerkabine und Powerpack am Heck rund 26 Meter lang und bringt beladen etwa 135 Tonnen auf die Waage. Rund 50 Tonnen wiegt allein die Zwischenbrücke mit der von HPL entwickelten Halte- und Schwenkvorrichtung. Projektbetreuer Siegbert Plasger: „Die Vorrichtung statisch ausreichend zu dimensionieren und trotzdem möglichst gewichtsoptimiert zu konstruieren, war eine besondere Herausforderung.“
Ohne diese Zwischenbrücke lassen die beiden Schwerlastmodule sich aber auch direkt verbinden. Sie bilden dann ein Transportsystem für den bis zu 100 Tonnen wiegenden Windradgenerator und die Turmteile.
Konstruiert und gebaut bei HPL
„Nicht nur der Maschinenbau, sondern auch die gesamte Steuerungstechnik, die Elektrotechnik und die Statik sind hier im Hause und bei unseren regionalen Verbundpartnern gemacht worden“, freut sich HPL-Geschäftsführer Rüdiger Schury. Ein außergewöhnlicher Auftrag für HPL, der in einem engen Zeit- und Kostenrahmen abgewickelt werden musste.
Gebaut wurden die drei Systeme übrigens nicht am HPL-Stammsitz in der Niedergrafschaft, sondern in angemieteten Werkshallen in Papenburg. In Neugnadenfeld wäre dafür neben der normalen Produktion nicht genügend Platz gewesen. In Papenburg wurden die Systeme auch ausgiebig getestet und vom Auftraggeber abgenommen. Zurzeit werden sie für den Transport nach Japan verpackt. Dort sollen sie im Herbst in den Probebetrieb gehen und ab Dezember die ersten Komponenten für insgesamt 16 große Windräder in die Berge transportieren.